Sonntag, 24. August 2014

Der Abschuss von Itavia Flug 870

Eine Verschwörung im großen Stil, die 34 Jahre später langsam ans Licht kommt, doch noch lange nicht aufgeklärt wurde. Genau wie Malaisen Airlines Flug MH17?

Mit allem Recht der Welt wird darauf bestanden, die Umstände, die in der Ukraine zum Absturz des Mailasien Airlines Fluges MH17, der zum Tod von 298 Personen geführt haben, zu klären. Wer hat das Flugzeug von wo aus beschossen? Die Schuldigen müssen ermittelt, genannt und bestraft werden. Die Angehörigen und Hinterbliebene der Opfer haben ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren. Darüber herrscht völlige Einigkeit, wenigstens offiziell. Das Geschehen vom Donnerstag dem 17.07.2014 wirklich restlos aufgeklärt werden soll, daran zweifeln nicht zu unrecht, viele Menschen. Wird das tragische Geschehen im Augenblick doch zur massiven Hetze gegen Russland und als Chance genutzt, einen neuen kalten Krieg zu entfachen. Politisch zumindest, darf man, wenn man klaren Menschenverstand und ein reines Gewissen voraussetzt, der EU und US Politik unterstellen, das an einer Aufklärung wenig Interesse besteht.
Denn eine besserer Gelegenheit, als der tragische Tod von 298 Zivilisten, um den Erzrivalen Putin in Russland und in den Augen der Weltöffentlichkeit zu kompromittieren, wird sich kaum noch einmal ergeben. Und Vertuschungen haben auch in Europa beste Tradition, wie wir im nachfolgenden lesen können. Eine Story aus der Geschichte vor 34 Jahren, die sich wie aus der Feder eines Krimi Autoren liest und doch mitten in Europa passiert ist, vielleicht genau so, grade wieder passiert, bei Flug MH17 der Malaisen Airlines.

Vor 34 Jahren, als im Mittelmeer vor der Insel Ustica, 140 Kilometer nördlich von Palermo, eine Passagiermaschine DC9 der Fluglinie Itavia ins Meer stürzte, 81 Menschen starben. Damals setzten französische und italienische Geheimdienstler und Militärs alles dran, die Wahrheit zu vertuschen. Die Öffentlichkeit wurde schlicht belogen. Beweismittel wurden manipuliert, vernichtet und mindestens 13 direkt oder indirekt involvierte Personen, die über die Ereignisse mehr wussten, als den Geheimdiensten lieb war, starben überraschend. Eine Mann erlitt mit 37 Jahren einen Herzinfarkt, drei Personen starben bei Autounfällen, drei stürzten mit einem Flugzeug ab, drei fand man erhängt, einer wurde erstochen, zwei wurden erschossen. Das ist der Stoff für Verschwörungstheorien.

Italiens ehemaliger Staatschef Giorgio Napolitano, ein Mann, der seine Worte sorgfältig zu wählen pflegt, sagte 2010 anlässlich des 30. Jahrestages der Tragödie: „Es gibt Spuren einer Verschwörung im Fall Ustica, vielleicht auch eine internationale Intrige, die wir in Erinnerung rufen müssen.“
In der Hauptsache ist es dem italienischen Staatsanwalt Rosario Priore, der mehr als zehn Jahre lang die Ermittlungen geführt hat, ist zu verdanken, dass der Absturz nicht einfach als Unglück abgebucht werden konnte, sondern als Abschuss entlarvt wurde. Wenn wohl auch nur versehentlich. Doch kaum Jemand würde in Friedenszeiten den absichtlichen Mord an Zivilisten unterstellen wollte. Auch wenn in unserer perfiden Welt fast nichts mehr undenkbar scheint.

„Strage di Ustica“
Das Blutbad von Ustica, so nennen die Italiener die Katastrophe heute noch.
Eine DC-9 der kleinen, italienischen Fluggesellschaft Itavia, Flug 870 startete in Bologna am 27.06.1980, um 20.08 Uhr. Da waren das Check Inn und alle notwendigen Formalitäten erledigt. Die Maschine hob mit Reiseziel Palermo ab. An Bord waren 77 Menschen, darunter 13 Kinder und vier Crew Mitglieder. Das letzte Signal des Transponder der Maschine wird um 20.59 Uhr aufgezeichnet, sie verschwindet von den Radarschirmen. Noch war völlig unklar, was passiert ist.
Drei Wochen später gibt der Verteidigungsminister Italiens Lelio Lagorio bekannt, im Sila Gebirge in Süditalien, ist ein libysches Militärflugzeug abgestürzt. Die Trümmer eines libyschen Kampfjets russischer Bauart und der tote Kampfpilot werden schnell gefunden. Gerichtsmediziner kommen aufgrund der fortgeschrittenen Verwesung der Leiche zum Ergebnis, das Flugzeug müsse zirka drei Wochen früher in den Bergen abgestürzt sein. Untersuchungen von Flugsicherheitsexperten vertraten die Meinung, das die sieben Löcher im Wrack, wie sie Projektile von Bordkanonen hinterlassen, darauf hin deuteten, dass das Flugzeug abgeschossen wurde.
Wieder zurück zu Flug Itavia-Flug 870. Die Hypothesen, ein technischer Defekt, Materialermüdung oder eine in der Toilette platzierte Bombe, habe zum Absturz des Linienfluges geführt, ließ sich ab1991 nicht mehr aufrechterhalten. Da waren 96 Prozent der Flugzeugteile aus 3700 Meter Meerestiefe geborgen. Die Toiletteneinrichtung war unbeschädigt. Die Bullaugen des Flugzeugs waren sämtliche intakt, ein Umstand, der Experten zufolge eine Explosion an Bord ausschließen lässt.

Die Radaraufzeichnungen und Dokumente, die zur Aufklärung der Katastrophe hätten beitragen können, wurden auf Befehl des Militärs und vermutlich Regierungskreisen systematisch vernichtet. Doch wie oft bei solchen Vertuschungsaktionen, etwas wird immer übersehen. Zwei Radarsignale, die auf dem Radarschirm des Flughafens Rom Ciampino, kurz vor dem Absturz der DC-9 aufgefangen wurden, kamen nach Auffassung eines US Luftfahrexperten, der vor Gericht als Zeuge zitiert wurde, mit Sicherheit von einem Militärflugzeug. Auch aus einer übersehenen Aufzeichnung der Radarstation von Poggio Ballone, bei Grosseto geht hervor, dass von der französischen Luftwaffenbasis in Solenzara auf Korsika, kurz vor dem Unglück zwei französische Jagdflugzeuge aufstiegen und Richtung Süden, Richtung Ustica, abdrehten. Das französische Verteidigungsministerium hatte immer behauptet, von 17.00 Uhr an habe es auf Solenzara am 27.06.1980 keine Flugaktivitäten mehr gegeben. Das war schlicht gelogen.
Wir erinnern uns, Itavia-Flug 870 startete am am 27.06.1980, um 20.08 Uhr vom Flughafen Bologna. Erst im Mai 2014 haben die Franzosen zum ersten Mal zugegeben, dass auf Solenzara bis nach Mitternacht Betrieb herrschte. Aus einem gutem Grund.

Im Jahre 1999 veröffentlichte der römische Staatsanwalt Rosario Priore seinen Ermittlungsbericht. Er kam zum folgendem Ergebnis: Der Absturz der DC-9 Itavia-Flug 870 erfolgte nach einer militärischen Abfangaktion, die DC-9 wurde abgeschossen.

Francesco Cossiga, der zur Zeit der Katastrophe als Ministerpräsident mehr zur Vertuschung als zur Aufklärung der Katastrophe beitrug und späterer Staatspräsident Italiens, erklärte im Jahr 2007 im Fernsehen: „Die Franzosen wussten, dass das Flugzeug des libyschen Staatschefs Gaddafi vorbeifliegen würde. Die Franzosen haben ein Flugzeug bemerkt, das sich hinter die DC-9 gesetzt hatte, in der Hoffnung, vom Radar nicht erfasst zu werden. Es waren die Franzosen, die dann von einem Kampjets aus eine Rakete abgefeuert haben.“ Ein Jahr später wurde von Francesco Cossiga bezeugt: „Es waren unsere Geheimdienste, die Staatssekretär Giuliano Amato und mich informierten, dass es die Franzosen waren.“ Die Maschine Gaddafi sei, kurz nachdem Start in Lybien, vom Sismi, dem italienischen, militärischen Geheimdienst, über die französischen Absichten, die Maschine anzugreifen informierten worden und sei umgekehrt. Der geplante Luftschlag der Franzosen, gegen den libyschen Staatschef wurde so vereitelt. Ein geplanter politischer Mord, ein Attentat, wie immer man es nennen will, mit weitreichenden Konsequenzen für 81 Menschen, die keine Ahnung davon hatten, was geschieht. Die Ahnungslos starben.

Zwei libysche MIGs befanden sich über dem tyrrhenischen Meer. Sie waren vermutlich auf dem Rückflug von Wartungsarbeiten in Jugoslawien, als sie über italienischem Gebiet entdeckt wurden. Eine Maschine könnte versucht haben, im Radarschatten des Passagierflugzeuges den französischen Verfolgern zu entkommen. Aus Versehen wurde dann die DC-9 der Fluggesellschaft Itavia von einer Luft-Luft-Rakete getroffen. Eine MIG wurde wahrscheinlich verfolgt und über Kalabrien abgeschossen.
Francesco Cossigas überraschenden Stellungnahmen führte dazu, das die Ermittlungen im Fall Ustica wieder aufgenommen wurden. Trotz viele offener Fragen, fest steht inzwischen jedoch, das im Raum über dem tyrrhenischen Meer in der Region nördlich von Ustica zur Zeitpunkt der Katastrophe elf Militärflugzeuge im Einsatz waren. Vermutet wird, das es zu Luftkämpfen zwischen Kampfjets der französischen und italienischen Luftwaffe auf der einen Seite und zwei libyschen MIGs andererseits gekommen ist.
Im Luftraum über der Insel Elba, war auch eine der beiden in Europa stationierten amerikanischen Awacs- Flugzeuge im Einsatz. Es ist also höchst unwahrscheinlich, dass die Amerikaner nicht wissen, was sich damals ereignet hat.

Der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi hat rückhaltlose Aufklärung versprochen. Geheime Dokumente, die in den Archiven lagern, würden öffentlich gemacht. Selbst Frankreich signalisiert Kooperationsbereitschaft. Ein italienischer Staatsanwalt durfte ehemalige französische Militärs vernehmen, die 1980 auf der Luftwaffenbasis von Solenzara stationiert waren.
Nun könnten neuen Ermittlungen doch noch zu einem öffentlichen Prozess führen. Die Angehörigen der Opfer des Fluges Itavia-Flug 870 haben genau, wie alle anderen Opfer in der zivilen Luftfahrt, die zu sogenannten Kollateralschäden wurden, ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren.

Auch wird spekuliert, ob amerikanische Jets direkt eingegriffen haben, da die Attentatstheorie sehr wahrscheinlich ist. staatlich angeordneter Mord an einem Staatschef durch die USA, ist heute sicher nichts, was wir uns nicht vorstellen könnten.

Es sei als erstes positives Ergebnis zu verzeichnen, wenigstens haben die Angehörigen, der Oper inzwischen eine Entschädigung von 110 Millionen Euro erhalten. Das höchste Gericht Italiens in Rom, hält es im vergangenen Jahr für erwiesen, dass sich am 27. Juni 1980 in den Himmeln über Ustica eine Luftschlacht ereignete. Der italienische Staat habe gröblich seine Pflicht, die Sicherheit der zivilen Luftfahrt zu gewährleisten verletzt.

1,6 Millionen Seiten umfassen die Ermittlungsakten der Ustica Katastrophe, über dreitausend Zeugen wurden angehört, 120 Gutachten erstellt. Ein Prozess, der Ursachen und Schuld klären können, wurde jedoch nie eröffnet, da die Täter unbekannt sind. Es wird die nähere Zukunft zeigen, ob die ganze Wahrheit ans Licht kommt und Schuldige sich verantworten müssen, genau wie bei Flug MH17. Denn aufgeklärt ist auch das Blutbad von Ustica noch lange nicht.

© George W. Lästerbacke